H i N

Alexander von
HUMBOLDT im NETZ

__________________________________________________________________

HiN                                                     II, 3(2001)
 
__________________________________________________________

Gerhard Kortum: Humboldt der Seefahrer und sein Marinechronometer
Ein Beitrag zur Geschichte der Nautik und Meereskunde

 

1. Einführung: HUMBOLDT und das Meer

Wie kann man heute mit einer Geschichte des Chronometers einen Bestseller-Erfolg erzielen? Man lese selbst die spannende Biographie von John "Timekeeper" HARRISON (SOBEL 1996). Die folgenden Betrachtungen dürften hierzu zumindest für HUMBOLDT-Kenner eine willkommene Ergänzung sein und auch auf allgemeines wissenschaftliches Interesse stoßen.

HUMBOLDT war bekanntlich selbst an der Geschichte der Physischen Weltbeschreibung sehr interessiert und wird immer wieder auch Objekt und Bezugspunkt der Wissenschaftsgeschichte bleiben. HEINRICH der Seefahrer (1394-1460) und seine nautische Akademie in Sagres spielten für die folgenden Überseefahrten der Portugiesen eine große Rolle, wie im Kosmos (Band II, 1847, S. 296) ausgeführt. Aber HUMBOLDT der Seefahrer? Diese ungewohnte neue Sicht wird im folgenden vor dem Hintergrund seiner eigenen Seereisen und nautischen Kenntnisse näher darzustellen sein.

Alexander von HUMBOLDT war insofern Empiriker, als er eine Leidenschaft für Instrumente hatte und diese auf seinen Reisen, aber auch später während seiner Studien in Paris und Berlin mit Erfolg einsetzte. Zudem lag ihm das Experimentieren im medizinisch-biologischen und geowissenschaftlichen Bereich besonders. BRAND hat in einer vor kurzem veröffentlichten längeren Studie über die von HUMBOLDT benutzten Meßinstrumente und Meßmethoden erstmals die Geräteausstattung der "wandernden Akademie" HUMBOLDT näher ausgeführt. Auf diese Studie kann hier nur verwiesen werden. Sie geht in Abschnitt 4 (Ortsbestimmung / Chronometer) auch auf die im vorliegenden Beitrag behandelte Problematik in einigen Zügen ein (BRAND 2001, S. 27-38). HUMBOLDTsches Arbeiten und Wissen ohne Thermometer oder Barometer kann man sich nicht vorstellen, aber über seinen Chronometer und das Arbeiten mit diesem dritten Basisinstrument wissen wir bisher wenig. Gleichzeitig ist eine Schiffsuhr neben den traditionellen Grundgeräten Kompaß und Sextant, mit denen sich HUMBOLDT ebenso gründlich auskannte, die wichtigste Navigationshilfe.

Den von Alexander von HUMBOLDT während seiner Atlantikquerung und auf seiner nachfolgenden Südamerika-Expedition 1799-1804 benutzte Bordchronometer von Louis BERTHOUD war ein besonders präzises Taschenchronometer und ist leider nicht mehr auffindbar. Es war hinsichtlich der Herstellung, des Vorbesitzers und des Gebrauchs durch HUMBOLDT eine ganz besondere Uhr, die einer kurzen instrumentenkundlichen Betrachtung aus der Sicht der Nautik und Geschichte der Meereskunde sicher wert ist.

HUMBOLDT war nicht nur astronomisch auf dem neuesten Stand seiner Zeit - man lese nur in den betreffenden Kapiteln des "Kosmos" (Bd. III, 1850), er war auch im Gebrauch der von ihm mit erheblichem Mittelaufwand erworbenen und in großer Zahl auf seiner Reise mitgeführten astronomischen, meteorologischen und geodätischen Instrumente ein Meister (vgl. HUMBOLDT 1808-1810). Er kannte alle großen Astronomen seiner Zeit und arbeitete auf allen wichtigen Sternwarten, denen u.a. auch die praktische Aufgabe der Ermittlung der Zeit und der nationalen Bezugsmeridiane für geodätische Kartenwerke zukam. Bei Benutzung von Sextant und Chronometer auf See war er eigentlich auch ein Nautiker, und dieser Aspekt soll hier erstmals in den Mittelpunkt der folgenden Betrachtung gestellt werden.

HUMBOLDT hat weite Seereisen unternommen, fast hätte er auf Georg FORSTERs Spuren selbst an einer wissenschaftlich begleiteten Weltumsegelung teilgenommen. Seine Sonderinteressen für nautische Kartographie und die Entwicklung der frühen Navigation (HUMBOLDT 1836-1839) lassen ihn in einem neuen Licht erscheinen. HUMBOLDT der Seefahrer steht im Mittelpunkt des folgenden Beitrags.

HUMBOLDTs Stellung in der Geschichte der Ozeanographie, die bereits von den führenden deutschen Ozeanographen des 20 Jhds., G. WÜST (1959), A. DEFANT (1960) und G. DIETRICH (1970), sowie in neuerer Zeit vom Autor dieses Beitrags in verschiedenen Zusammenhängen und mit Bezug zum Stand der heutigen Meeresforschung aus HUMBOLDTs Gesamtwerk herausgearbeitet wurden (KORTUM 1985-2001), bleibt hiervon unberührt. Weitere vom Autor verfolgte Studien werden HUMBOLDTs Stellung als Pionier der Meeresforschung auch im internationalen Rahmen noch stärker hervortreten lassen. Es ist aber einleuchtend, daß die Bereiche Nautik und Meeresforschung eng miteinander verzahnt sind. Wie im folgenden ausgeführt, hatte HUMBOLDT zu beiden eine besondere Beziehung, die es voll gerechtfertigt erscheinen lassen, daß ein deutsches Forschungsschiff seinen Namen trägt. Unser heutiges HUMBOLDT-Bild bedarf einer maritimen Vertiefung.

 

letzte Seite | Übersicht | nächste Seite