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Alexander von
HUMBOLDT im NETZ

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HiN                                                     II, 3 (2001)
 
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Gerhard Kortum: Humboldt der Seefahrer und sein Marinechronometer
Ein Beitrag zur Geschichte der Nautik und Meereskunde

 

8. Die chronometrische Wiederentdeckung der Neuen Welt (13. Juli 1799)

Mit der Ankunft in Südamerika erfüllte sich für HUMBOLDT ein seit der Jugend gehegter Traum. Hiermit begann aber auch eine neue Epoche in der Wissenschaftsgeschichte: "Am 16. Juli (1799) bei Tagesanbruch lag eine grüne malerische Küste vor uns. Die Berge von Neuandalusien begrenzten, halb von Wolken verschleiert, nach Süden den Horizont. Die Stadt Cumana mit ihrem Schloß erschien zwischen Gruppen von Cocosbäumen. Um neun Uhr morgens, ein und vierzig Tage nach unserer Abfahrt von Corunna, gingen wir im Hafen vor Anker..." (HUMBOLDT, A. v. (1814-1825), nach HAUFF, Bd. 1, S. 217). Die Atlantiküberfahrt macht also fast den gesamten Band I der HAUFFschen Oktavausgabe aus, eine Fundgrube für alle reise- und wissenschaftsgeschichtlich interessierte Kreise. Für die Ozeanographie, Meteorologie, Geologie und Meeresbiologie gibt es zahlreiche wichtige Passagen.

Kommen wir zurück zu HUMBOLDTs besonderen Uhr: Er wird in der Literatur, besonders in Südamerika, als zweiter, wahrer Entdecker Amerikas gefeiert und immer wieder geehrt; er habe mehr für diese Länder bewirkt als alle Conquistadores vor ihm, soll Simon BOLIVAR (1783-1830) gesagt haben. HUMBOLDT hat schon gut eine Woche vor der Ankunft in der venezuelanischen Hafenstadt Amerika (und zwar die Antilleninsel Tobago) richtig vorausgesehen und gefunden mit Hilfe seines hochgeschätzten Chronometers von Louis BERTHOUD! Hierdurch wird diese hier im Mittelpunkt stehende spezielle Seeuhr eigentlich noch bemerkenswerter.

Lesen wir die folgenden Zeilen, fühlen wir uns nahezu als Augenzeuge dieses Moments an Bord der "Pizarro". Zum 8. Juli 1799 schreibt HUMBOLDT (HUMBOLDT, A. v. (1814-1825), nach HAUFF, Bd. 1, S. 198 ff.), und dies entspricht auch im wesentlichen seinen von FAAK 2000 herausgegebenen Tagebuchnotizen zu diesem bedeutsamen Ereignis:

"Seit mehreren Tagen war die Schätzung der Steuerleute um 1°12’ von der Länge abgewichen, die mir mein Chronometer angab. Dieser Unterschied rührte weniger von der allgemeinen Strömung her, die ich ‘Rotationsstrom’ genannt habe, als von dem eigenthümlichen Zuge des Wassers nach Nordwest, von der Küste von Brasilien gegen die kleinen Antillen, wodurch die Überfahrt von Cayenne nach Guadeloupe abgekürzt wird. Am zwölften Juli glaubte ich ankündigen zu können, daß Tags darauf vor Sonnenaufgang Land in Sicht seyn werde. Wir befanden uns jetzt nach meinen Beobachtungen unter 10°46’ der Breite und 60°54’ westlicher Länge. Einige Reihen Mondbeobachtungen bestätigten die Angaben des Chronometers; aber wir wußten besser, wo sich die Corvette befand, als wo das Land lag, dem unser Kurs zuging und das auf den französischen, spanischen und englischen Karten so verschieden angegeben ist....

Die Steuerleute verließen sich mehr auf das Log als auf den Gang eines Chronometers; sie lächelten zu der Behauptung, daß bald Land in Sicht kommen müsse, und glaubten, man habe noch zwei bis drei Tage zu fahren. Es gereichte mir daher zu großer Befriedigung, als ich am dreizehnten gegen sechs Uhr Morgens hörte, man sehe von den Masten aus ein sehr hohes Land...." Es war aber nicht Trinidad, sondern Tobago, stellte HUMBOLDT durch das Verfahren der Messung der doppelten Sonnenhöhe nach der Methode von DOUWE fest, dies bestätigte auch die Ermittlung der exakten geographischen Breite "durch Beobachtung der Sonnenhöhe um Mittag ".

HUMBOLDT, der zweite KOLUMBUS und wissenschaftlicher Wiederentdecker des Neuen Kontinents, hatte somit am 13. Juli 1799 Amerika dank seiner astronomischen Instrumente und Fertigkeiten richtig vorausgesagt und gefunden, zweifellos eine nautische Meisterleistung. Er benutzte dabei "BORDAs schöne Karte des atlantischen Oceans", die basierend auf dessen Vermessungsreise nach Westindien 1771-1772 immerhin bis auf fünf Längenminuten genau die Lage der Insel kartographisch fixiert hatte (HUMBOLDT, A. v. (1814-1825), nach HAUFF, Bd. 1, S. 200). In der Hand hatte HUMBOLDT dabei BORDAs Längenuhr, seine geliebte Berthoud Nr. 27. So fand HUMBOLDT die Neue Welt und eine neue Zeit begann.

 

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Tab. 1:

Die Seefahrten HUMBOLDTs während seiner amerikanischen Tropenreise (1799-1804)

zu Abbildung 3

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auf Karte Abschnitt Datum Seetage sm
1 - 2 Coruña - Teneriffa 05.06.1799-19.06.1799 15 1.078
2 - 3 Teneriffa - Cumana 25.06.1799-16.07.1799 22 3.072
  Cumana - Caracas 18.11.1799-21.11.1799 4 162
  Nueva Barcelona - Cumana 25.08.1800-27.08.1800 2 54
  Cumana - Nueva Barcelona 17.11.1800 1 54
3 - 4 Nueva Barcelona - Havanna 2411.1800-19.12.1800 25 1.563
4 - 5 Trinidad Cuba - Carthagena 09.03.1801-30.03.1801 21 647
6 - 7 Callao - Guayaquil 24.12.1802-04.01.1803 12 863
7 - 8 Guayaquil - Acapulco 17.02.1803-23.03.1803 35 2.264
9 - 10 Vera Cruz - Havanna 07.03.1804-19.03.1804 13 1.863
10 - 11 Havanna - Philadelphia 29.04.1804-20.05.1804 22 1.240
11 - 12 Philadelphia - Bordeaux 30.06.1804-01.08.1804 33 3.611
     

205

16.471

                              

Meeresströmungen nach HUMBOLDT und BERGHAUS
(1850, Karte Nr. 7)

  1. Äquinoctial-Strömung
  2. Golfstrom
  3. Nordatlantische Drift
  4. Rennell-Strom / Nordafrikanische Strömung
  5. Arktische Strömung
  6. Hudson-Bai-Strömung
  7. Südatlantische Strömung
  8. Südost-Passat-Drift
  9. südliche Verbindungsströmung
  10. Brasilstrom
  11. Peruströmung
  12. Mexikanische Strömung

 

 

 

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